Agile Führung

Erfolgsfaktoren von Führung in Zeiten der Digitalen Transformation – Agile Führung bzw. Agile Leadership

Organisationen und damit deren Führungskräfte sind diesen Zeiten besonders gefordert. Immer neue Technologien und Produkte entwickeln sich, neue Geschäftsmodelle entstehen und Kundenerwartungen verändern sich rasant. Noch nie in der Geschichte hatten Organisationen und Führungskräfte ein vergleichbares Veränderungstempo zu managen.

Was steckt dahinter? Schon 1965 beobachtete Gordon Moore (Mitbegründer von Intel), dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise auf Microchips regelmäßig verdoppelt, also einer exponentiellen Entwicklung folgt. Microchips bilden einen wesentlichen Bestandteil aller elektronischen Geräte, die wiederum ein Herzstück des technologischen Wandels darstellen. Diese Beobachtung wird als Moore‘sches Gesetz bezeichnet und dient als Erklärung für die exponentielle Entwicklungsgeschwindigkeit im Technologiesektor.

In diesem Klima von Disruption, Komplexität und Dynamik sind gerade Führungskräfte besonders gefordert, Orientierung zu geben, Sicherheit zu stiften und eine attraktive Zukunft zu entwickeln. Agile Leadership kann hier hilfreich sein.

Agile Führung in Zeiten der Digitalen Transformation

In einer groß angelegten Studie im Jahr 2017 haben sich CISCO, IMD (International Institute for Management Development in Lausanne) und metaberatung mit der Frage befasst, was jene Führungskräfte gemeinsam haben, die sicher und erfolgreich durch diese Zeiten der Digitalen Transformation steuern. Das Ergebnis wurde in das Modell „Agile Leadership“ übertragen.

Agile Führung
Quelle: Redefining Leadership for a Digital Age, IMD & metaberatung 2017, www.metaberatung.com

Als Ergebnis der Studie zeigen sich zunächst drei Verhaltensweisen für Agile Führung:

Hyperbewusstsein (Hyperawareness) – Außergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit und Interesse in Bezug auf technologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen – über den Tellerrand der eigenen Branche hinweg. War es lange Zeit ausreichend, den unmittelbaren Mitbewerb und Entwicklungen in der eigenen Branche gut im Auge zu halten, zeigen erfolgreiche Führungskräfte in Zeiten der Digitalen Transformation einen „hyper-bewussten“ Blick auch auf andere Bereiche. Dabei sind sie idealerweise auch in der Lage, daraus Schlüsse für das eigene Geschäft zu ziehen. Hyberbewusstsein ermöglicht, frühzeitig zu erkennen, wenn disruptive Entwicklungen aus ganz anderen Richtungen das Geschäft attackieren könnten. Disruptive Entwicklungen entstehen immer häufiger in anderen Branchen und attackieren bewährte Geschäftsmodelle und traditionelle Organisationen. 

Sachkundige Entscheidungsfindung (Informed Decision Making) – Nutzung und Verarbeitung von Daten und Erschließung immer neuer Datenquellen. Besonders erfahrene Manager und Führungskräfte könnten dazu neigen, Entscheidungen mehrheitlich auf Basis ihres Erfahrungswissens zu treffen. In der Digitalen Transformation sind wir aber immer wieder mit gänzlich neuen Situationen konfrontiert, wo es noch keinen ausreichenden Erfahrungsraum gibt. Die kluge Nutzung von vorhandenen Daten und vor allem die Ausweitung und Erschließung von neuen Datenquellen ist wesentliches Erfolgskriterium, um evidenzbasierte Entscheidungen treffen zu können. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Erfahrungen zu entwerten oder auf die erprobte Intuition zu verzichten. Vielmehr geht es darum, sich intensiv und aktiv mit der Beschaffung von entscheidungsrelevantem Datenmaterial aus verschiedenen Quellen zu versorgen und dies als Grundlage für operative und strategische Entscheidungen zu nutzen.

Schnelles Agieren (Executing at Speed) – Schnelle Entscheidungen und ein Zugang, der mehrheitlich Umsetzungsgeschwindigkeit über Qualität stellt. Gerade traditionelle, erfolgreiche Industriebetriebe sind häufig von einem sehr hohen Qualitätsanspruch geprägt. So werden perfekte Produkte entwickelt und Fehler vermieden. In den aktuellen und besonders dynamischen Zeiten legen erfolgreiche Führungskräfte immer häufiger den Schwerpunkt auf schnelle Umsetzung und nehmen dafür bewusst Abstriche bei der Qualität in Kauf. Diesen Ansatz kennen wir bereits aus der Technologie-Start-Up-Szene. Diese geht häufig mit sogenannten MVPs (minimum viable products) auf den Markt. Dabei handelt es sich um die erste funktionsfähige Iteration eines Produkts, die meist noch weit von Perfektion entfernt ist. Danach holt man sich von den Nutzern Rückmeldung und bringt dann rasch die überarbeiteten Produkte heraus.

Ist es wirklich so einfach?

Interessant an diesen drei Leadership-Verhaltensweisen ist, dass sie niemals alle drei gleichzeitig zur selben Zeit verwirklicht werden können. Die Agile Leadership-Verhaltensweisen widersprechen sich in manchen Aspekten. Daher kann nicht eine Person zur gleichen Zeit alle Verhaltensweisen zeigen. So ergeben sich aber auch Risiken, wenn jeweils ein Verhalten unterrepräsentiert ist. Es geht also für Führungskräfte darum, immer wieder eine passende Balance zu finden und die Schwerpunkte im Handeln entsprechend auszurichten. Dabei ist der Studie zufolge zusätzlich zu berücksichtigen, dass es auch individuelle Vorlieben gibt, die das Führungshandeln prägen.

Die eine Führungskraft hat vielleicht ihre Stärken bei Hyperbewusstsein und sachkundiger Entscheidungsfindung, ist aber in puncto schnellen Agierens eher zurückhaltend. Damit geht das Risiko einher, zwar gut fundierte Entscheidungen mit Weitblick zu treffen, aber dabei in der Umsetzung schlicht zu langsam zu sein. Die Studie bezeichnet dieses Risiko als Slow Driving bzw. Langsames Fahren.

Hat eine Führungskraft hingegen ihre Stärken bei der sachkundigen Entscheidungsfindung und beim schnellen Agieren, so entstehen schnelle, datenbasierte Entscheidungen und Umsetzungen, die aber viele Entwicklungen in anderen Bereichen nicht einbeziehen. Man hat damit das Risiko, wesentliche Entwicklungen zu übersehen. Dieses Risiko nennt sich Wrong Direction bzw. Falsche Richtung.

Zeigen sich Stärken in Hyperbewusstsein und schnellem Agieren, so führt dies meist zu mutigen, schnell umgesetzten Projekten. Diese sind aber häufig nicht gut aufgesetzt und wenig fundiert. Hier sehen wir häufig das Risiko von Schnellschüssen und teuren Fehlentscheidungen. Wir sprechen vom Risiko des Careless Driving bzw. des Unachtsamen Fahrens.

Es ist also wichtig für Führungskräfte, die eigenen Verhaltenspräferenzen und blinden Flecken in Bezug auf Agile Führung und damit die Stärken und Risiken zu kennen. Führungsteams sind besonders erfolgreich, wenn sie in Bezug auf diese drei Verhaltensweisen möglichst breit aufgestellt sind. So hat möglicherweise der CIO eine besondere Stärke in Hyperbewusstsein, der Finanzvorstand in der sachkundigen Entscheidungsfindung und der COO im schnellen Agieren. Gelingt es einem Führungsteam, die jeweiligen Verhaltenspräferenzen zu erkennen, zu verstehen und die Vorteile zu kombinieren, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, alle Facetten von Agiler Führung abzudecken und damit gut und sicher durch die dynamischen Zeiten der Digitalen Transformation zu steuern. Ganz praktisch gelingt dies mit ehrlicher Selbsteinschätzung, wertschätzender gegenseitiger Rückmeldung und gemeinsamem Blick auf die Chancen und Risiken.

Dabei lohnt sich auch ein Blick auf das ganze Führungsteam, um zu erkennen, wo es vielleicht immer wieder zu Reibungspunkten kommt. Zum Beispiel: Die Person mit Vorliebe für schnelles Agieren entscheidet schnell, hat kein Problem mit 80%-Lösungen und wird schnell ungeduldig. Die Person mit Präferenz für sachkundige Entscheidungsfindung wird intensiver auf Zahlen, Daten und Fakten schauen, bevor sie eine Entscheidung fällt. Das braucht mehr Zeit. Die beiden Personen werden vielleicht im operativen Alltag immer wieder Meinungsverschiedenheiten haben. Mit Kenntnis der Stärken und Präferenzen sollte ein konstruktiver Umgang leichter gelingen.

Gleichzeitig kann ich auch erkennen, welches Verhalten vielleicht insgesamt im Team unterrepräsentiert ist und uns ein Risiko in der Gesamtsteuerung eröffnet.

Worauf es noch ankommt

Ergänzend zu den Verhaltensweisen zeigt die Studie noch vier Kompetenzen für Agile Führung, die für Führungskräfte in dynamischen und disruptiven Zeiten erfolgskritisch sind. Kompetenzen gehen tiefer als Verhaltensweisen und berühren schon unsere Überzeugungen und Werte. Daher sind sie nicht so leicht änder- und anpassbar wie Verhalten.

Bescheiden (Humble): Führungskräfte haben nicht mehr den Anspruch, selbst allein die Lösung zu finden bzw. auf jedes Problem die einzig richtige Antwort zu haben. Bescheidene Führungskräfte im Sinne der Studie anerkennen und schätzen es, dass sie Kollegen und Mitarbeiter haben, die mehr wissen und mehr können als sie selbst. Sie fordern offene Rückmeldung ein und nehmen diese auch ernst.

Anpassungsfähig (Adaptable): Gerade in so dynamischen Zeiten ist flexibler Umgang mit Entscheidungen wesentlich. Anpassungsfähige Führungskräfte überprüfen Entscheidungen regelmäßig kritisch und sehen es nicht als Schwäche, getroffene Entscheidungen wieder rückgängig zu machen, weil sich die Informationslage verändert hat.

Visionär (Visionary): Visionäre Führungskräfte können auch in Zeiten hoher Unsicherheit langfristige Ideen und Visionen entwickeln und diese glaubwürdig kommunizieren. Dabei geht es darum, die Zunftsbilder attraktiv und verständlich zu beschreiben, dass Orientierung uns Sicherheit in Bezug auf die Zukunftsausrichtung in der Organisation entsteht.

Engagiert (Engaged): Engagierte Führungskräfte im Sinne der Studie sind natürlich mit Feuer und Flamme bei der Sache. Hinter dieser Kompetenz verbirgt sich auch noch, dass diese Führungskräfte mit ernsthaftem Interesse intensiven Austausch mit internen und externen Stakeholdern pflegen. „Being in a constant mode of listening“, zeichnet jene Manager aus, die sich mit großer Neugier in Bezug auf „emerging trends“ mit Informationen versorgen.

Fazit

Die digitale Transformation fordert Führungskräfte besonders. Das Modell der Agilen Führung zeigt, welche Verhaltensweisen und Kompetenzen für Führungskräfte in Zeiten der Digitalen Transformation besonders wichtig und erfolgskritisch sind. Ein ehrlicher Blick auf die eigenen Verhaltensweisen und Kompetenzen, sowie offener Austausch und ständige Kommunikation darüber im Führungsteam sind unabdingbar, um Organisationen gut durch besonders dynamische und disruptive Zeiten zu steuern.

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Dr. Nina Haas

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